Vorbemerkung zu meinen Romanen
Meine Romane unterscheiden sich stilistisch sehr voneinander. Wenn man andere Autoren liest, kann man davon ausgehen, dass ihre Werke jeweils ähnlich gestrickt und aufgebaut sind. Meine hingegen entstehen aus den Figuren heraus, und darum sind sie voneinander oft so verschieden, dass der Eindruck entstehen könnte, sie stammten nicht von derselben Autorin. Auch innerhalb eines Romans wechselt der Stil mehrmals, je nachdem, aus welcher Perspektive ich während des Schreibens auf das Geschehen blicke. Wenn ich eine neue Geschichte niederzuschreiben beginne, die rein gar nichts mit dem Buch aus dem Vorjahr zu tun hat, verändert sich auch der ganze Stil.
Spätestens seit meiner »Einweihungserfahrung« Anfang 2017 (die in engem Zusammenhang mit meinem Nahtoderlebnis von 2011 steht) ist für mich klar: In unserer Welt ist nicht alles nur Licht, Liebe und Schönheit, auch wenn wir in diesen Qualitäten beheimatet und von ihnen getragen und gehalten sind. Es gibt gute Gründe, den Blick auch auf das Übel, die Dunkelheit und die Schatten zu richten.
Für manche Leserinnen und Leser mag es vielleicht überraschend sein, welche Inhalte sie in einigen Abschnitten meiner Romane vorfinden. Viele trauen mir nicht zu, dass ich dergestalt in »dunkle Tiefen« eintauche, und sind erstaunt oder gar irritiert.
Die Erklärung dafür ist ganz einfach: Ich denke mir keine der Geschichten aus, die ich niederschreibe. Sie stammen nicht von mir oder sind vorher auf irgendeine Art und Weise entworfen. Sie sind fiktiv, aber nicht konstruiert.
Meine Romane beginnen zumeist mit dem ersten Satz. Dieser fällt mir jäh zu, oft im Halbschlaf, kurz vor dem Erwachen oder Einschlafen. Sobald ich ihn niedergeschrieben habe, beginnen vor meinem inneren Auge Bilder zu entstehen. Ich sehe Menschen, die etwas tun und sagen, erblicke Handlungsabläufe und Zusammenhänge. Im Anschluss wende ich mich erst einmal diesen Menschen zu und »beobachte« sie, versuche sie psychologisch zu ergründen: Was macht er dort? Warum macht er das? Wie kommt er zu so einer Handlung? Was geschah in seiner Vergangenheit? Weshalb diese Handbewegung / dieses Hinken / dieser spezielle Gesichtsausdruck / diese Narbe / diese Schwäche / diese Begabung etc.?
Es ist wichtig, dass ich die handelnden Menschen verstehe, die sich mir präsentieren. Oft schreibe ich deshalb ganze Handlungsabläufe nieder, ohne dass sie im Roman Aufnahme finden. Darin erklären mir die Protagonisten, warum sie bestimmte Eigenschaften haben, und je besser ich sie verstehe und in sie »hineinfinde«, desto authentischer wird das Endresultat. Denn ich sehe ja nur Bilder vor dem inneren Auge ablaufen und möchte im Anschluss so detailgetreu wie möglich wiedergeben, was ich sehe. Die Interpretation meinerseits darf nicht misslingen, zumindest ist das mein Bestreben.
Wenn ich nun also mit dem Schreiben des Romans beginne, fächern sich vor mir diese Abläufe auf. Es hat viel Überwindung und Übungszeit gekostet, nicht in diese Abläufe einzugreifen und die Geschichte nicht so zu lenken, wie ich mir das vorstelle oder für besser befinde. Gott weiß, wie oft ich vor so mancher Entwicklung zurückschrak und mich mitunter monatelang weigerte, weiterzuschreiben, nur weil sich mir offenbarte, wohin die Reise geht. Als ich beispielsweise erkannte, was in Band 2 der Fourfold-Saga, »Der Rote Drache«, geschehen wird, pausierte ich ein geschlagenes halbes Jahr lang und kämpfte innerlich mit mir, weil ich mich vor einer gewissen »Begegnung« fürchtete. Und oft passieren Brutalitäten, die mich bestürzen und die ich am liebsten ignorieren würde, die jedoch die Handlung und die Menschen prägen und den weiteren Verlauf der Geschichte bestimmen.
Bei jedem Roman habe ich die wunderbare Erfahrung gemacht, dass hinter allen Handlungsabläufen, die sich mir zeigten, ein tieferer Sinn lag – vorausgesetzt, ich pfuschte nicht dazwischen und fand den Mut, das Gesehene hinzuschreiben. Wie oft fragte ich mich, wie diese so verworrene Geschichte nur zu einem plausiblen und guten Ende finden soll, und war dann umso erstaunter und ergriffener, als sich ein paar Seiten später alles so stimmig fügte … so stimmig, wie ich es mir nie hätte ausdenken können!
Wie eingangs erwähnt, gibt es gute Gründe, den Blick auch auf das Übel, die Dunkelheit und die Schatten zu richten. Wenn keiner hingeht, um die verbarrikadierten Fenster aufzureißen, wie soll dann das Sonnenlicht ins Zimmer strömen?
Die meisten meiner Romanfiguren sind solche Krieger. Sie blicken nicht nur in die Finsternis, sie gehen mitunter direkt in sie hinein, stets in dem Bestreben, alle daraus zu befreien, die sich darin verirrt haben, und vor allem wollen sie denjenigen die Hand reichen, die die Finsternis erzeugen.
Im noch unveröffentlichten Band 4 der Fourfold-Saga tritt der Captn des Clans einem solchen »Dunkelwesen« gegenüber. Er streckt ihm die Hand hin und sagt: »Komm, Bruder, folge mir.« Als dieser sich weigert und abwendet, in der Absicht, seinen teuflischen Plan weiter auszuführen, ruft ihm der Captn nach: »Wir [der Fourfold-Clan] werden kämpfen, wir werden siegen, doch ich werde immer mit ausgestreckter Hand auf dich warten.«
Meine Romane sind sicherlich nicht für jeden Leser geeignet. Nicht jeder hat die Aufgabe, in die Dunkelheit zu blicken oder gar in sie hineinzugehen. Aber wer sich berufen fühlt und sich auf eine dieser Reisen begibt, trägt zusammen mit den Protagonisten zur kollektiven Durchlichtung der Finsternis bei.
Melanie Meier, August 2020